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Rolf Weingartner: «Klimaschutz ist der beste Wasserschutz»

Nach trockenen Sommern in den Vorjahren brachte der Sommer 2021 Hochwasser – in Deutschland mit vielen Todesopfern. Wir sprachen mit Rolf Weingartner darüber, was die Schweiz diesbezüglich in Zukunft erwartet und wie sie darauf reagieren muss. Rolf Weingartner ist emeritierter Professor für Hydrologie an der Universität Bern und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Gletscher-Initiative.

Du bist seit zwei Jahren emeritiert, aber immer noch wissenschaftlich tätig. Wie blickst du auf den jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC, dessen erster Teil im August veröffentlicht wurde?

In den letzten dreissig Jahren hat sich das Wissen zum menschgemachten Klimawandel stets verbessert, die Aussagen werden immer genauer. Die IPCC-Berichte sind schon lange Aufforderungen, endlich zu handeln. Der wichtigste Fortschritt im jüngsten Bericht besteht darin, dass man jetzt viel klarere Aussagen zum Einfluss des Klimawandels auf extreme Wetterereignisse machen kann.

Manche Politiker reagierten auf den Bericht, als sei er kalter Kaffee. FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen sagte gegenüber dem Tages-Anzeiger, der Bericht sei nur eine «eine Fortsetzung der Aussagen früherer Berichte», Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy sagte, die Erkenntnisse seien «nicht neu».

Das ist ja genau das Problem: Unser Wissen wird zwar immer präziser, aber eigentlich erkennen wir die Grundzüge des Klimawandels seit dreissig Jahren, das ist tatsächlich nicht neu. Und trotzdem passiert nichts! Es ist einfacher, von kaltem Kaffee zu sprechen als zu handeln. Darum frage ich diese Politiker: Warum handelt ihr denn nicht, wenn alles so klar ist?

Gab es für dich aber auch Überraschungen im neuen IPCC-Bericht?

Was mich überrascht, ist – wie gesagt –, dass wir bei der Klarheit der wissenschaftlichen Aussagen immer noch nicht angemessen handeln. Es bringt wirklich nichts, einmal mehr ein paar Jahre bis zum nächsten IPCC-Bericht zu warten, um das Gleiche noch genauer zu wissen. Eigentlich wissen wir doch längst, was zu tun ist!

Diesen Sommer gab es viele Extremereignisse: Hitzewellen, Waldbrände und in unserer Region Hochwasser, die in Deutschland und den Benelux-Ländern über 220 Menschenleben forderten und in China – bei uns kaum bemerkt – über 300. Inwiefern ist das ein Ausdruck der vom Menschen verursachten Klimakrise?

Man muss zwischen Wetter und Klima unterscheiden. Wetterlagen wie die, welche die Hochwasserkatastrophe im Juli verursacht hat, gab es schon immer. Aber die Rahmenbedingungen, unter denen diese Wetterlagen auftreten, haben sich verändert. Diese Rahmenbedingungen hängen vom Klima ab. Da gibt es vor allem zwei Effekte, die sich bestärken: Erstens kann wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen – pro Grad Temperaturanstieg sieben Prozent mehr. In einer wärmeren Atmosphäre fällt also bei gleicher Wetterlage mehr Niederschlag. Das sehen wir auch im Rückblick: In den letzten hundert Jahren wurden die Starkniederschläge intensiver. Zweitens, und das ist im Alpenraum wichtig, steigt mit der Klimaerwärmung die Nullgradgrenze. Im Sommerhalbjahr fällt der Niederschlag in den Alpen deshalb auch in grosser Höhe als Regen statt als Schnee. Somit tragen in alpinen Einzugsgebieten immer grössere Flächenanteile direkt zum Hochwasser bei. Die Hochwassergefahr nimmt mit dem Klimawandel also insgesamt zu.

Sind wir darauf vorbereitet, was uns erwartet?

Wir haben in unserer Firma ecosfera gmbh mehrere umfangreiche hydrologische Modellierungen durchgeführt, um die regionalen Auswirkungen des Klimawandels besser zu verstehen. Was dabei sofort auffällt: Je nach betrachtetem Emissionsszenario ergibt sich eine ganz andere hydrologische Situation. Bei hydrologischen Simulationen für den Kanton Solothurn verwendeten wir die zwei Szenarien des IPCC «mit Klimaschutz» (RCP 2.6) respektive «ohne Klimaschutz» (RCP 8.5). Dabei zeigte sich die grundlegende Bedeutung des Klimaschutzes: Betreiben wir konsequenten Klimaschutz, wird sich die Hydrologie gegenüber heute kaum verändern. Beim Szenario ohne Klimaschutz präsentiert sich uns hingegen eine ganz andere hydrologische Welt. Das Wirksamste, was wir gegen markante hydrologische Veränderungen, gegen extreme Hochwasser und Trockenheit tun können, ist deshalb der Klimaschutz, also das Vermeiden von Treibhausgasemissionen. Zwar sind wir heute im Bereich des Hochwasserschutzes gut aufgestellt. Aus den grossen Hochwassern von 1987, 1999 und vor allem 2005 hat man viel gelernt, hat viel in Informations- und Alarmsysteme, Zivilschutz- und Blaulichtorganisationen investiert. Da ist die Schweiz sehr gut vorbereitet. Wir sind sehr gut im Re-agieren! Was aber fehlt, ist eine proaktive Vorbereitung auf die durch den Klimawandel ausgelösten hydrologischen Veränderung.

Wir hatten 2018 und 2019 extrem trockene Sommer, 2021 Hochwasser. Was ist die grössere Bedrohung: Trockenheit oder Starkniederschläge?

Das ist regional verschieden. In der Studie für den Kanton Solothurn sahen wir klar, dass im Mittelland die Sommertrockenheit das grössere Problem darstellt. Landwirtschaft und Ökosysteme brauchen ausreichend Wasser und die Bevölkerung leidet unter der Hitze. Die Trockenheit verschärft sich, wenn die Gletscher verschwinden und die Schneedecke abnimmt so dass weniger Schmelzwasser über die grossen Flüsse, ins Mittelland geführt wird. Aber mit einer integralen wasserwirtschaftlichen Planung können die entstehenden Probleme gelöst werden, Dabei spielen Speicher eine wichtige Rolle, mit denen man den im Winter reichlich vorhandenen Niederschlag speichern und im Sommer verfügbar machen kann. Wichtig dabei: Die gesamte Niederschlagsmenge wird sich wenig ändern, die Niederschläge verteilen sich nur saisonal anders. Das Wasser wird nur knapp, wenn man nichts tut. Im Alpenraum ist dagegen die Zunahme der gefährlichen Prozesse – ausgelöst durch die abschmelzenden Gletscher, den Rückgang des Permafrosts und die Zunahme des Hochwassers – das grössere Problem. Es kommt vermehrt zu Murgängen wie im Bergell 2017. In Kandersteg rutschen 20 Millionen Kubikmeter Fels in Richtung Dorf, weil der Permafrost (ganzjährig gefrorener Untergrund) auftaut.

Im Alpenraum ist mit einer Zunahme an gefährlichen Prozessen wie Murgängen auszugehen. Betroffen ist schon heute die Region Kandersteg bekannt für den Oeschinensee.

Überschwemmungen, Trockenheit oder Murgänge betreffen ländliche Regionen stärker als städtische. Am 13. Juni haben aber vor allem Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in ländlichen Regionen das CO2-Gesetz abgelehnt. Deine Forschung bringt dich immer wieder mit Menschen in ländlichen Regionen zusammen. Wie erklärst du dir, dass es dort so schwierig ist, die Menschen von der Dringlichkeit der Krise zu überzeugen?

Zunächst muss ich etwas korrigieren: Die zu erwartenden Schäden sind in städtischen Gebieten höher, einfach weil es da mehr verletzliche Infrastrukturen gibt. Aber die Menschen auf dem Land sind näher dran an den Gefahren, vor allem in den Alpen. Landwirte und Landwirtinnen sehen die Veränderungen unmittelbar. Aus meinen Gesprächen auf dem Land geht klar hervor, dass man sich der Veränderungen bewusst ist. Aber die langfristige Bedrohung wird noch immer zu wenig gesehen. Der Gemeindepräsident von Kandersteg hat in einem Leserbrief geschrieben, dass man in Kandersteg durchaus wisse, welche Folgen die CO2-Emissionen im Alpenraum hätten, man dürfe aber die Landbevölkerung, die doch auf das Auto angewiesen sei, nicht mit höheren Benzinkosten belasten. Ein Faktencheck zeigt aber, dass sich diese Mehrbelastung dank der im Gesetz vorgesehen Kompensationsmechanismen in sehr engen Grenzen gehalten hätte.

Warum engagierst du dich im wissenschaftlichen Beirat für die Gletscher-Initiative?

Weil ich in meiner Arbeit ganz klar sehe, dass die Treibhausgasemissionen den Unterschied machen; weil der Klimaschutz letztlich der beste Wasserschutz ist.