Blog chevron_right
#Wissenschaft
Teilen:

IPCC-Bericht: System Change und etwas Optimismus

Am 4. April hat der Weltklimarat IPCC den dritten und letzten Teil seines Sechsten Sachstandsberichts veröffentlicht. Der Bericht, der in den Medien aufgrund des Ukrainekriegs sehr wenig Aufmerksamkeit gefunden hat, ist bemerkenswert – und stimmt ein wenig optimistisch.

Das IPCC hat den Auftrag, das wissenschaftliche Wissen alle paar Jahre zusammenzufassen. Die sogenannten Sachstandsberichte dienen den Regierungen weltweit als Grundlage für politisches Handeln. Mehr als dreissig Jahre nach dem ersten ist nun der sechste Sachstandsbericht erschienen – in drei Teilen: Teil 1 (veröffentlicht im August 2021) befasst sich mit den physikalischen Grundlagen, Teil 2 (Februar 2022) mit den Auswirkungen und der jetzt erschienene Teil 3 mit den Möglichkeiten, die Klimakrise zu begrenzen. Der dritte ist also gewissermassen der wichtigste Teil: Er zeigt, was wir tun müssen – und tun können.

Der Teilbericht zu den Auswirkungen war äusserst düster. So leben heute 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen – also fast die Hälfte der Menschheit – in «besonders verletzlichen Kontexten». Umso überraschender ist, dass Teil 3 vorsichtig optimistisch ausfällt. Noch im fünften Sachstandsbericht von 2014 hatte es geheissen: «Die Annahmen, die nötig sind, um eine wahrscheinliche Chance zu erhalten, die Erwärmung auf zwei Grad zu beschränken, sind unter Bedingungen der realen Welt sehr schwer zu erreichen.» Nun aber zeigt der jüngste Bericht: Es geht! Und das, obwohl seit 2014 acht weitere Jahre mit steigenden Emissionen vergangen sind. Wie ist das möglich?

Es gibt zwei Erklärungen: Erstens ist die Welt eine andere als 2014. Die nötigen Techniken existieren und sie sind sehr viel billiger als noch vor wenigen Jahren. Zweitens ist auch der wissenschaftliche Blick auf die Welt ein anderer geworden. Bis 2014 dominierten Modelle mit engen Begrenzungen. Der Politikwissenschafter Matthew Paterson von der Uni Manchester sagte es mir so: «Die Vorstellung einer anderen Welt, in der die Leute anders zusammenleben, anders konsumieren, sich mit dem Fahrrad bewegen: Das ist mit Modellrechnungen überhaupt nicht kompatibel». Die Modelle haben keine gesellschaftspolitische Phantasie.

Das hat sich geändert. Vom Radfahren (und Zu-Fuss-Gehen) ist im aktuellen Bericht viel die Rede. Und es gibt – auch das ist neu – ein Kapitel über die «Reduktion der Nachfrage nach Energie». Einfacher und altmodischer ausgedrückt: über das Energiesparen. 40 bis 70 Prozent der Emissionen könnten bis 2050 allein durch Sparen vermieden werden. Und die Lebensqualität würde dadurch nicht beeinträchtigt, im Gegenteil: Sie nähme zu! Denn mehr zu Fuss gehen oder Velo fahren und weniger Fleisch essen, ist nicht nur gut fürs Klima. Es ist auch besser für unseren Körper und unsere Psyche.

«Es ist sowieso schon zu spät» kann als Ausrede also nicht mehr gelten: Es ist möglich und Beispiele wirksamer Klimapolitik existieren. Allerdings zeigt der Bericht auch, dass die Geschwindigkeit des Wandels und die Anstrengungen vervielfacht werden müssen: Es brauche nicht mehr schrittweise Änderungen, sondern einen «Umbau von Systemen» (systems transformations). 

Der Bericht umfasst 3000 Seiten. 60 davon bilden die Zusammenfassung für Entscheidungsträger:innen, der Satz für Satz von den Regierungen der Uno-Mitglieder abgesegnet wird. Dabei können Aussagen, die den Regierungen nicht passen, rausfallen. Ein wichtiger Satz, der diesen Prozess nicht überlebt hat, lautete: «Zu den Faktoren, die einen ambitionierten Wandel behindern, gehören (…) ein schrittweiser statt systemischer Ansatz (…) sowie Sonderinteressen.»

Der Satz passt gut auf die schweizerische Klimapolitik: Wir gehen noch nicht mal in Schritten, sondern in Schrittchen vor. Und die Idee, dass man fossile Energie nicht nur ersetzen, sondern auch einsparen könnte, ist aus der schweizerischen Energie- und Klimadebatte praktisch verschwunden. Wenn es dabei bleibt, verpassen wir auch die Chance, unser Leben gesünder und angenehmer zu gestalten.